Liebe Leser*innen
Das Foto in meinen Händen, ein analoges Bild, zeigt mich mit 15 Jahren. Es war an einem sonnigen Herbsttag früh am Morgen, die Sonne stand tief und liess mein Gesicht in warmen Farben leuchten.

Zu mir. Nüchtern betrachtet habe ich mit 66 Jahren – gemäss Statistik – über ¾ meines Lebens hinter mir. Paff! Wie ich meine Zeit bisher gelebt habe, das ist eine andere und wohl längere Geschichte.
Zurück zum Herbst. Meine Sommersprossen haben sich vor Jahrzehnten schon verflüchtigt – es sind jetzt jene Pigmente der Altersflecken, die zunehmend meine Hände und Gesichtspartien überziehen. Sie sind grösser und matter als die sympathisch und frisch anmutenden Sommersprossen von damals.
Untrüglich stehen die Zeichen im Gesicht – Fältchen da und dort, schlaffe Haut nicht nur am Hals. Die Hände spiegeln unverblümt das eigene Alter. Wer macht sich da nicht Gedanken rund um das älter werden, den Herbst und Spätherbst des Lebens – auch über den nachfolgenden Winter, im Bewusstsein, dass es keinen Frühling mehr geben wird.
Es sind so Fragen wie – bleibe ich gesund – behalte ich meine sozialen Kontakte – wo und wie lebe und sterbe ich, selbst- oder fremdbestimmt – kann ich mein gewünschtes Leben im Alter auch finanziell stemmen – bleibe ich glücklich – was machen die geopolitischen Veränderungen mit uns – und viele andere Fragen, die halt sehr individuell sind.
Ausgeprägt eigen jedoch sind all die zusätzlichen Fragen und Gedanken von Fleur – so wie es vielen queeren Menschen geht – ich habe nur noch nie darüber gelesen.
«En Femme» zu sein – notabene meine Lebensbegleitung – wie lange geht das noch?
Was ist, wenn meine Hände unruhig werden und den Fineliner nicht mehr führen können? Unmöglich ist die Vorstellung, meine Körperrasur nicht mehr allein machen zu können.
Kann ich in sieben Jahren mit meinen Stiefelchen und Heels noch adrett gehen?
Sollte ich nicht schon längst meine Haartracht definitiv dem Alter anpassen – nur noch zum grauen Ton endlich ja sagen, meine Röcke nicht mehr zu kurz tragen?
Merke ich auch in zehn Jahren noch, wenn meine Bluse und Lippenstift farblich nicht mehr zueinander passen, der Lipliner auch nicht passt? Nicht mehr Autofahren – wie soll ich mich denn gestylt dann bewegen?
Spüre ich zeitnah, wenn die Eigen- und Aussenwahrnehmung schleichend auseinanderdriften, wenn mein Geist und meine Sinne für die Realität sich langsam verändern?
Als ob ich von Nebelschwaden umgeben wäre, Schwaden wie ein dicht gewobenes Gewand mit rauer kratzender Faser, welches sich ganz und gar nicht leicht tragen lässt – es ist wie ein Nebeldunst ohne jegliche Mystik und Zauber.
Meinem sonnigen Gemüt verdanke ich, dass solche Phasen sich immer wieder auflösen – dass sich das raue Gewand stets wieder öffnen und ausziehen lässt und flugs zurück zur Manufaktur verschwindet – bis zum nächsten Mal.
Ich bin dankbar dafür – aber trotzdem auch dankbar für diese sporadischen Phasen des Innehaltens. Sie gehören zum Leben – sie helfen neue Wege zu finden, zu fokussieren und dem «Jetzt» genügend Beachtung zu schenken.
Ich sage mir vermehrt – komm Fleur, mache dich hübsch und geh unter Menschen, lebe jetzt!
In diesem Sinne möchte ich besonders euch Mädels meiner Spezies ermuntern – auch die jüngere Generation – geht raus und gönnt euch diese wertvolle Zeit. Seid mutig! Wie habe ich es schon oft gesagt: «Mut steht am Anfang des Handelns – Glück am Ende».
Und wenn ich vor Entscheidungen stehe - mich davor drücken will - bediene ich mich dann gern einer anderen Lebensweisheit: "Wer will, findet Wege - wer nicht will, findet Gründe".
Ich wünsche sonnige Herbsttage mit zauberhaften Nebelschwaden von der Sorte «Jahreszeit».
Herzlichst – Fleur
PS - zu meinen Bildern: Das erste und vierte Bild - Fleur mit der neuen Frisur - habe ich im Mai 2025 in den Bericht gefügt. Ich habe mich also entschieden, zu meinem Alter zu stehen - das Grau nicht mehr zu verbannen. Aber - ich habe mich auch entschieden, meine zu kurzen Röcke nicht zu verbannen ;-)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen